Go East

Interview mit Delfine Architekten

Arbeiten und Leben in China wird immer populärer. Delfine Architekten, gegründet von Karin Hepp und Andreas Thomczyk, tun dies seit zweieinhalb Jahren in Peking. FORUM sprach mit ihnen vor Ort über Leben, Arbeiten und natürlich Architektur im Spannungsfeld zwischen Ost und West in der Volksrepublik China.

Was hat Sie dazu bewogen, nach China zu gehen?

Karin Hepp (KH): Wir sind jetzt zweieinhalb Jahre hier. Das erste Jahr waren wir für Baumschlager Eberle tätig. Ohne Baumschlager Eberle wären wir nicht hier.

Andreas Thomczyk (AT): Ohne Anlass war es für uns nicht so nahe liegend, nach China zu kommen; Obwohl uns Asien immer schon interessierte.

KH: Eigentlich wollten wir nur ein halbes Jahr bleiben. Im ersten Monat, in dem man in China lebt, begreift man erst, dass das, was man in dieser Zeit aufnehmen kann, nichts ist im Vergleich zu dem ist, was alles da ist. Man entdeckt immer noch mehr – alles verändert sich und ist sehr spannend.

Es war anfangs sicher nicht ganz leicht, sich in dieser Mega-City zurechtzufinden. Es braucht doch sicher ein soziales Umfeld, um sich zu akklimatisieren …

KH: Ja, aber das wächst. In unserem Fall hat sich vor allem durch die Geburt unseres Sohnes in China ein Freundeskreis entwickelt. Es kommen Menschen aus allen Ländern nach China, um hier zu arbeiten. Ausländer leben im Schnitt drei bis vier Jahre hier. Danach ziehen die meisten, die für Botschaften oder internationale Firmen gearbeitet haben, weiter.

Der Eindruck des modernen Nomadentums drängt sich da auf.

AT: Es gibt nur wenige, die hier geboren sind. Menschen kommen von überall her und ziehen überall hin. So ist das Leben hier. Der Schlüssel für unser Sozialleben war die Partnerschaft mit den Chinesen.

Apropos – wie funktioniert die Interaktion zwischen Ost und West? Ergeben sich Vorteile aus einer solchen Arbeitsgemeinschaft?

AT: In der Zeit unserer Tätigkeit für Baumschlager Eberle gab es nur europäische Architekten im Büro. In unserem eigenen Büro sind wir jetzt die einzigen Nicht-Asiaten, unsere Kunden allerdings sind größtenteils aus dem Westen. Dadurch ergibt sich eine interessante Arbeitssituation: einerseits die internationalen Auftraggeber, andererseits das komplette chinesische Team, und wiederum wir als europäische Architekten. Das bedeutet, dass wir als Link fungieren.
Wir haben hier in Peking unglaublich viel gelernt: wie die Stadt funktioniert, und welche Qualitäten im Rendering und in der Umsetzung im Bau geleistet werden können. All das sind Dinge, die man hier als Architekt braucht. Dieses vertiefende Wissen haben wir vor allem in den letzten sechs Monaten erarbeitet. Das ist ziemlich interessant. Wir versuchen, mit europäischer Qualität einen kulturellen Mix zu schaffen. Wir nehmen sehr viel von China mit, andererseits müssen wir Qualität hierher bringen. Diese Kombination funktioniert.

Es fällt auf, dass in Peking sehr viele westliche Architekturbüros bauen.

KH: Es gibt sehr viele westliche Firmen, die in China investieren. Diese wollen dann einerseits eine chinesische Firma beauftragen, aber einen europäischen Ansprechpartner haben, und das sind dann beispielsweise wir. Sie trauen sich nicht, ein chinesisches Büro zu beauftragen, wo es nur chinesische Ansprechpartner gibt. Da existieren noch Barrieren. Prinzipiell will dieser Typ von Auftraggeber eine Architektur mit westlicher Qualität und chinesischen Elementen.

Durch die Olympischen Spiele 2008 hat sich in der Architektur der internationale Markt, in dem chinesische Investoren auch europäische Architekten suchen, geöffnet. Nicht nur wegen der europäischen Qualität, sondern auch deshalb, weil sie etwas Neues haben wollen; Die letzten Jahrzehnte sollen aufgebrochen werden.

Steckt dahinter nicht auch politisches Kalkül, also der Versuch, mit moderner, westlicher Architektur ein liberales Bild der Volksrepublik China zu zeichnen?

KH: Die Oper, das olympische Dorf – es gibt kaum chinesische Architektur in diesem Kontext. Ich denke, diese Investoren wollen nach außen das Image einer internationalen Weltmacht mit westlichen Standards auf allen Ebenen zeigen.

Zum Thema „westlicher Standard“: Wie sieht es mit der Architekturausbildung in China aus? Herr Thomczyk, Sie haben letztes Jahr an der hiesigen Architekturfakultät gelehrt und so einen Einblick in das Studium gewonnen. Wie gut sind chinesische Architekten ausgebildet?

AT: Alle Absolventen sind zwar sehr stolz, dass die Architekturfakultät der Tsinghua Universität in Peking so toll ist; Aber um international mitmachen zu können, müssen sie ihren Master im Ausland absolvieren. Die meisten gehen in die USA, nach England, Australien oder Kanada – also in alle englischsprachigen Länder.

KH: Das Problem der jungen chinesischen Architekten ist, dass sie ihre eigene Architekturgeschichte nicht kennenlernen wollen. Wir Europäer sind ja interessiert an der chinesischen Architektur – der Flachbau und die Hofsituationen. Diese Räume sind so spannend und interessant. Es existieren sehr viele Elemente, die bei uns verwendet werden. Der chinesische Markt verneint diese Räume. Jetzt gibt es an der Peripherie von Peking plötzlich diese amerikanisch beeinflussten Satellitenstädte, in denen viele Villen angeordnet sind. Wir haben in unserer Zeit bei Baumschlager Eberle einmal versucht, einem Auftraggeber ein Hofhaus vorzuschlagen; Der Investor ist jedoch überhaupt nicht auf die Idee eingegangen. Er hat so argumentiert, dass ein Hofhaus nicht zu verkaufen sei. Das moderne Leben geht in die entgegengesetzte Richtung zur chinesischen Geschichte. Chinesen wollen sich nicht mit ihrer eigenen Geschichte beschäftigen und dieser z. B. durch Architektur Ausdruck verleihen.

AT: Viele der bestehenden Hofhäuser sind zerstört worden. Westliche Architekten versuchen aber aufzuzeigen, welche Substanz eigentlich in dieser Architekturgeschichte steckt.

KH: Bis vor zwei Jahren gab es praktisch keine Gesetze, die die historische Innenstadt schützten. Relativ großflächige Hofhaussiedlungen wurden nun unter Abbruchschutz gestellt. So wird versucht, die alten Strukturen zu erhalten. Neu ist auch, dass Hutongs (Hofhäuser) verkauft werden, denn der Staat kann deren Renovierung nicht finanzieren. Man kann seit Februar 2007 erstmals Hutongs – allerdings zu sehr hohen Preisen – kaufen. Das Problem dabei ist, dass sie immer noch bewohnt werden – von acht bis zehn Familien. Wir sprechen hier von Häusern, in denen früher eine einzige Familie wohnte. Will man diese Strukturen renovieren, muss man alle Bewohner aussiedeln.

Das Stichwort renovieren leitet uns direkt zum Bau über. Wie funktioniert die Kommunikation bei der Umsetzung am Bau? Wie funktioniert das Bauen überhaupt?

KH: Vom Bauphysikalischen her ist das Bauen in China eine komplette Katastrophe. Wenn wir entwerfen, soll die Geschwindigkeit gleich bleiben, der Preis möglichst auch, die Qualität soll jedoch dem europäischen Standard entsprechen. Unabhängig von diesen Faktoren müssen wir in sehr kurzer Zeit sehr viel erklären. Das ist dann immer ein bisschen wie an der Uni, wie Hochbau I, man muss banalste Dinge erklären – Kantenschutz bei Rigips-Leichtbauwänden, Neoprenunterlagen etc. Das wird hier normalerweise einfach nicht gemacht. Es wird auch keine Dämmung verwendet. Ganz dünne Platten, die sich wellen, kommen zur Anwendung. Die Chinesen wissen auch nicht, wie eine normale Türe mit Falz funktioniert. Wärmedämmung in der Fassade, wärmegedämmte Fenster, und wie die Wärmedämmung mit den Fenstern verbunden wird, ist teilweise völlig unbekannt. Dieses Wissen aufzubauen, ist natürlich sehr aufwändig, bedenkt man das zur Verfügung stehende Zeitbudget am Bau.

Zur Problematik des Wissensmanagements kommt ja auch die sprachliche Barriere hinzu. Wie gehen Sie damit um?

AT: Ein wichtiger Punkt beim Planen ist, wie schnell man zu Informationen kommt und diese auch weitergeben kann. Auf Grund der sprachlichen Barriere ist es notwendig, Pläne und Skizzen ohne Text zu gestalten. Architekturplanung in Reinform. Abgesehen davon, dass wir in der chinesischen Sprache nicht sattelfest sind, sind viele Bauarbeiter Analphabeten. Die perfekte grafische Umsetzung unsere Ideen hat absolute Priorität. Ein Plan muss umso eindeutiger lesbar sein. Auch auf der Baustelle ist es kaum möglich, verbal zu kommunizieren. Das kann man wirklich nur zeichnerisch mit Papier und Bleistift kompensieren. Übersetzern fehlt oft das nötige Fachvokabular. So kommt es unter Umständen zu „gebauten Übersetzungsfehlern“, was natürlich fatal ist.

Ihre Arbeitsgemeinschaft mit dem chinesischen Büro MI2 erleichtert die Kommunikation sicherlich erheblich.

KH: Ja, als zusätzliche Strategie arbeiten wir immer im gleichen Team. Wir engagieren immer den gleichen Bauleiter. Wir können damit ein Plus an Qualität und Geschwindigkeit erreichen, denn man muss nicht alles jedes Mal neu erklären. Langsam entwickelt sich ein eingespieltes Team. Das ist der große Vorteil unserer Arbeitsgemeinschaft mit dem chinesischen Büro MI2.

Es fällt auf, dass scheinbar rund um die Uhr gebaut wird. Wie sieht die Arbeitswoche eines Architekten aus?

AT: Wir haben eine durchschnittliche Arbeitswoche von 55 Stunden, aufgeteilt auf sechs Tagen pro Woche. Die Sechs-Tage-Woche in Architekturbüros ist hier üblich; Auf der Baustelle wird die ganze Woche rund um die Uhr in rasantem Tempo gearbeitet. Das wirkt sich natürlich auch auf den Architekten aus. Man muss sehr schnell entscheiden, unmittelbar darauf wird umgesetzt. In Wien ist das Arbeiten vergleichsweise gemütlicher. Die Baugeschwindigkeit ergibt sich einerseits durch die Größe der Stadt, andererseits auch durch die näher rückenden Olympischen Spiele im nächsten Jahr.

Gibt es, um schneller entwerfen zu können bzw. um die Detailplanung auf ein Minimum zu reduzieren, staatliche Vorgaben für Details? Wenn ja, wie sieht der Umgang mit diesen Vorgaben aus?

AT: Es existieren natürlich Detailbücher – sozusagen der chinesische „Neufert“ –, in denen staatliche Standarddetails aufgelistet sind. Im Studium wird das auswendig gelernt. Darin liegt auch die Erklärung für die €Ähnlichkeit, die chinesische Gebäude aufweisen; nicht nur optisch, sondern auch bautechnisch und statisch – Stichwort Einfeldträger. Wie gesagt, von europäischen Architekten werden die gleiche Geschwindigkeit und der gleiche Preis verlangt, jedoch verbunden mit viel höherer Qualität.

Abschließend: Was verbindet Sie – als Architekten – noch mit Europa?

KH: Mit Europa verbindet uns noch sehr viel. Wir müssen immer am Stand der europäischen Technik bleiben, dürfen keine Weiterentwicklung versäumen. Außerdem nehmen wir an Wettbewerben in Europa teil. Wir haben ganz aktuell einen Wettbewerb in München gewonnen. Dieses Projekt werden wir noch heuer umsetzen.

Erschienen in: Architektur und Bau Forum, 10/2007; Interview/Text: Fabian Dembski; Mitarbeit: Claudia Czerkauer