Der Helsinki-Effekt

Moreau Kusunoki Architectes gewinnen den Guggenheim-Wettbewerb in Helsinki. Mit im Team: Dieter Bogner aus Österreich. Der Entwurf bricht mit der traditionellen Idee des Museums und der Monumentalität der „Guggenheims“ des 20. Jahrhunderts: „Art in the City“ als Antithese zu Bilbao?

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Im Jahr 1939 von Solomon R. Guggenheim als Museum für moderne Kunst in New York gegründet, verfügt die Marke Guggenheim mittlerweile über Satelliten in Venedig und Bilbao und plant außerdem ein vieldiskutiertes Megamuseum in Abu Dhabi. Für die Errichtung einer Dependance in Helsinki änderte die Guggenheim Foundation ihre Strategie der freien Vergabe und schrieb einen offenen Architekturwettbewerb aus, an dem sich 1.715 Architekten beteiligten. Das Siegerprojekt „Art in the City“ stammt vom bisher kaum bekannten Pariser Büro Moreau Kusunoki Architectes. Dessen Konzept stellt keinen ikonischen Ausstellungsbau dar, sondern löst das Museum in unterschiedliche Volumen, in neun Pavillons und einen Turm, auf.

IN BEWEGUNG

Die dunklen Baukörper, eingehüllt in Fassaden aus verkohltem Holz und Glas, beginnen – von der Stadt aus gesehen – niedriger und steigen zum Ufer hin an; sie erinnern an Wellen mit leichten Kämmen. Der Turm ist mit dem nahegelegenen Observatorium-Park durch eine Fußgängerbrücke verbunden und steht am Hafen an einer Uferpromenade. Die Pavillons sind zwischen 300 und 500 Quadratmeter groß und durch verglaste Stege miteinander verbunden. Dieses „fragmented continuum“ soll es dem Besucher erlauben, vom ersten bis zum letzten Raum gehen zu können, ohne das Museum verlassen zu müssen. Andererseits ermöglicht es das Konzept auch, das Gebäude an verschiedenen Positionen zu betreten. Diese Flexibilität in der Ausstellungspraxis war auch ein Grund für die Jury, das Projekt auszuzeichnen.

03-Nicolas-Moreau_Hiroko-Kusunoki_Dieter-Bogner_Foto-Fabian-Dembski„Wir brauchen Museen in Bewegung. Wir brauchen in Museen eine Dynamik und nicht mehr die ständige Ausstellung, die über viele Jahre unverändert besteht. Auch der Kontext ändert sich. Da ist es vernünftig, dass sich auch die Sammlungspräsentation ändert“, erklärt Dieter Bogner das Konzept. Der österreichische Kunsthistoriker und Museumsplaner war maßgeblich am Erfolg des Teams beteiligt und von Beginn an in den Entwurfsprozess involviert. Er beriet die Architekten bereits in der ersten Wettbewerbsstufe – auch das Ausstellungskonzept stammt von ihm.

IM DIALOG

Die Gleichgewichtung von öffentlichem Raum und Galerien soll im Museumsgebäude Lebendigkeit schaffen. Auch der Turm soll, geht es nach den Planern, der Öffentlichkeit frei zugänglich bleiben und sein 30 Meter hoher Innenraum für Inszenierungen genutzt werden. „Museen sind normalerweise hochkomplexe Bauten, besonders was das Klima angeht. Das bedeutet, dass sie häufig stark abgeschlossen sind. Das ist schade, denn dadurch fehlt der Dialog mit der Gesellschaft. In unserem Projekt haben wir versucht, die Räume in kleine Volumen aufzuteilen. Diese Pavillons bieten Zwischenräume, die Kommunikation ermöglichen und eine gute Gelegenheit zur Interaktion zwischen den Räumen bieten. So entsteht ein starker Bezug zum Ort“, erklärt Hiroko Kusunoki das Konzept.

Der vorgesehene Bauplatz am Hafen war schon früher von der Stadt als potenzieller Raum für urbanistische Ideen erkannt worden. Doch wie kam die Guggenheim Foundation auf die Idee, ausgerechnet in Finnland eine Dependance zu errichten? Insider munkeln, Trustees des Guggenheim New York, ein finnisches Ehepaar, hätten die Institution auf die Idee gebracht, das Projekt in Helsinki zu entwickeln. Tina Vaz, Kommunikationsdirektorin der Guggenheim Foundation, betont, dass gerade Aspekte wie die ausgeprägte Demokratie und die hohe Lebensqualität in Helsinki mit ein Grund dafür waren, diese Stadt als Standort in Betracht zu ziehen. Die abgeschiedene Lage im globalen Kontext würde auch Guggenheims Mission eines weltumspannenden Kunstnetzwerks fördern.

DER WETTBEWERB

Guggenheim kooperierte von Beginn an mit der finnischen Architektenvereinigung SAFA (Suomen Arkkitehtiliitto), die den Wettbewerbsprozess fachlich unterstützte und begleitete, jedoch nicht als Veranstalter agierte. Auch die Idee des offenen zweistufigen Ideenwettbewerbs entstand auf Anraten von Safa und der Stadt Helsinki – Guggenheim hätte eine Direktvergabe, wie bei anderen bisherigen Projekten auch, womöglich bevorzugt.

Im Gegenzug nutzte die Foundation den wohl größten Architekturwettbewerb der Geschichte als gigantisches Marketinginstrument. Die SAFA sieht den Wettbewerb zwar an sich positiv, war jedoch nicht mit allen Entscheidungen der Auslober einverstanden: Generalsekretärin Paula Huotelin erklärt, dass die Vereinigung mit der Wahl von nur sechs Finalisten nicht glücklich war und angesichts der Dimension des Wettbewerbs auf eine größere Zahl von Teilnehmern in der zweiten Stufe gedrängt hatte. Außerdem sei aus den Guidelines, die Guggenheim den Teilnehmern zur Verfügung stellte, nicht eindeutig hervorgegangen, ob es sich nun um einen offenen Ideen- oder einen Realisierungswettbewerb handelte.

Für die Jury war besonders die erste Stufe eine Herausforderung. Anssi Lassila, renommierter finnischer Architekt (OOPEAA) und Mitglied der Jury, erklärt zum komplexen Prozess, dass Mitglieder der Stadt Helsinki und Experten vorab die technischen und funktionellen Anforderungen überprüft hätten, um 900 Arbeiten für die Jury auszuwählen. Während der ersten Stufe konnte jederzeit auf die bereits in der Vorprüfung ausgeschiedenen Arbeiten zurückgegriffen werden, und diese Möglichkeit sei von der Jury auch durchaus in Anspruch genommen worden. Zu Beginn der Begutachtung teilte sich die elfköpfige Jury in vier Teams auf, von denen jedes einen Teil der Projekte überprüfte. Nach einer Pause wurden die Teams ausgetauscht und der Vorgang so lange wiederholt, bis alle Projekte von jedem Mitglied der Jury geprüft und zirka 100 Arbeiten ausgewählt waren. Das Prozedere wurde in zwei Gruppen fortgesetzt, um etwa 30 Arbeiten in die engere Wahl zu nehmen. Nach insgesamt vier Tagen und langen Diskussionen wurden schließlich die sechs Finalisten vom gesamten Juryteam in die zweite Stufe gewählt. Die Kontroverse habe die Qualität des Wettbewerbs positiv beeinflusst, ist sich Mark Wigley, Vorsitzender der Jury, sicher: „Architektur muss immer durch die Debatte ausgebrütet werden“, meint der Professor und emeritierte Dekan der Columbia University.

KREATIVES KAPITAL

Heuer im Juni konnte das Gewinnerprojekt „Art in the City“ nach einem insgesamt einjährigen Prozess bekanntgegeben werden. Das Ergebnis ist beeindruckend. Ein Büro wie Moreau Kusunoki hätte bei einem geladenen Wettbewerb keine Chance zur Teilnahme gehabt. „Dieser Wettbewerb, diese Art des Prozesses ist eine große Hoffnung für Architekturbüros wie das unsere“, meint Nicolas Moreau, denn „ohne großen Namen hat man normalerweise keinen Zugang zu so einem einmaligen Programm.“ Zwar wurde der Wettbewerb aus privaten Mitteln finanziert, der größte Anteil stammt allerdings von den teilnehmenden Architekten: Rechnet man mit durchschnittlichen Kosten von 30.000 Euro pro Teilnehmer allein für die erste Stufe, so ergibt sich eine Summe von insgesamt mehr als 50 Millionen – ein gigantischer Betrag aus kreativem Kapital, der einer geplanten Projektsumme von 130 Millionen und einem Preisgeld des Gewinners von 100.000 Euro gegenübersteht.
Paula Huotelin erklärt die Idee des offenen Wettbewerbs: Das System hätte in Finnland eine 140 Jahre alte Tradition, auf die sie stolz ist. Tatsächlich werden im hohen Norden verhältnismäßig viele offene Wettbewerbe ausgeschrieben, und selbst geladene Wettbewerbe bieten durch eine Art Losverfahren jungen Talenten die Chance einer Teilnahme.

DIE HERAUSFORDERUNG

Von Anfang an, seitdem das Guggenheim-Projekt im Jahr 2011 publik wurde, war es umstritten: Kritiker hinterfragten die Bedingungen der Entwicklungsverhandlungen, unter denen Guggenheim die meisten Entscheidungen treffen, Finnland und Helsinki jedoch den Großteil der Kosten übernehmen sollten. Ein Jahr später wurde das Projekt aufgrund finanzieller Bedenken mit knapper Mehrheit im Stadtrat abgelehnt. Eine 30 Millionen Euro teure Lizenzgebühr, welche die Guggenheim Foundation für die Verwendung ihres Namens veranschlagte, war dafür besonders ausschlaggebend. 2013 überarbeitete die Foundation ihren Vorschlag und initiierte die Guggenheim Helsinki Supporting Foundation, die mit privaten Geldgebern die Lizenzgebühr finanzieren will. Der Stadtrat erklärte sich damit einverstanden, dies zu berücksichtigen, und will nun, da der finale Entwurf feststeht, Anfang nächsten Jahres erneut über das Projekt abstimmen. Bis jetzt konnte die Supporting Foundation bereits zirka zehn Millionen Euro lukrieren, berichtet Tina Vaz. Sie ist optimistisch, dass nun nach Bekanntgabe des Siegerentwurfs auch der vorgesehene Betrag von 30 Millionen Euro erreicht werden kann.

EIN MOTOR

Die öffentliche Unterstützung für das Projekt war eher bescheiden. Auch wurden noch während des Wettbewerbs Sorgen geäußert, das Guggenheim könnte durch seine Größe die Besucher anderer Museen abziehen. Diese Sorgen hat Maija Tanninen-Mattila, Direktorin des Helsinki Art Museums (HAM), nicht. Sie sieht das Guggenheim als Ergänzung zu den bestehenden Sammlungen und erwartet sogar einen Anstieg der Besucherzahlen in den bestehenden Kulturinstitutionen. Ihr stimmt Susanna Pettersson, die Leiterin des Ateneum, zu und ergänzt, dass das Projekt zur besseren Bekanntheit der Kulturszene des Landes beitragen könnte, das in der Weltöffentlichkeit bisher mehr für seine Natur und für seine Saunakultur bekannt ist als für seine Kunst.

Dieter Bogner ist davon überzeugt, dass der Entwurf genau die richtige Größe für ein internationales Kunstmuseum für moderne und zeitgenössische Kunst hat: „Unabhängig von Guggenheim ist Finnland beziehungsweise Helsinki Teil des globalen Kontextes, und insofern ist hier ein Museumsprojekt für internationale Kunst von großer Bedeutung.“ Helsinkis Vizebürgermeisterin Ritva Viljanen, zuständig für kulturelle Angelegenheiten, unterstützt das Guggenheim-Projekt als Motor für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt. Schätzungen sprechen von mehr als 50 Millionen Euro pro Jahr und bis zu 500 neuen Jobs, die das neue Museum generieren könnte. Noch ist jedoch unklar, ob der Entwurf des jungen Büros, das erst vor vier Jahren in Paris gegründet wurde, überhaupt umgesetzt werden kann. Sollte die politische Entscheidung Anfang 2016 positiv für das Projekt ausfallen und würde das Budget freigegeben, das zwischen der Stadt Helsinki, dem Staat Finnland und der Guggenheim Helsinki Supporting Foundation aufgeteilt werden sollte, wären die wichtigsten Weichen gestellt.
Helsinki könnte jedenfalls von einem Rebranding durch das Museumsprojekt profitieren. Aber auch Guggenheim hätte dadurch die Möglichkeit, sich im hohen Norden neu zu definieren. Der offene Wettbewerb und sein Siegerprojekt sind erste Schritte weg vom sogenannten Bilbao-Effekt und hin zu antimonumentalen Ansätzen und der Neuorganisation des Museums im 21. Jahrhundert.

Alle eingereichten Beiträge sowie die Guidelines sind unter designguggenheimhelsinki.org/en/ abrufbar.

(Text: Fabian Dembski; Bilder: Moreau Kusunoki Architectes (Skizze), Fabian Dembski (Foto); erschienen als Coverstory in: Architektur & Bauforum Nr. 07-09, Sep. 15)

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